Der Jackintosh: als der Atari ST der bessere Mac war – Teil 2

Jack Tramiel CES Las Vegas 1985 Illustration von Martin Karcher

Das Jahr 1985 begann für die Home-Computer-Welt mit der Erwartung, das »Jahr der 128-k-Computer« zu werden: die einschlägigen Firmen präsentierten die Nachfolgemodelle ihrer Dauerbrenner: Commodore den 128 und 128 D, Sinclair den »Spectrum 128«, Amstrad den CPC 6128 – neben kleineren Hardware-Verbesserungen (der 128er bot nun 80 statt 40 Zeichen auf dem Bildschirm, ein verbessertes BASIC-Betriebssystem, der 128 D verfügte über ein neues, PC-ähnliches Gehäuse mit abgesetzter Tastatur und eingebauter 5 1/4-Zoll-Floppy mit höherer Speicherkapazität) war die dramatischste Veränderung die Verdoppelung des RAM-Speichers von 64 auf 128 Kilobyte. Die Grundstruktur, der 8-Bit-Prozessor, blieb unverändert. Auch Atari reihte sich in diese Entwicklung ein: auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas im Januar 1985 wurde der 130 XE präsentiert, ein verbesserter 800 XL mit 128 Kilobyte RAM und einem optisch überarbeitetem, hellgrauen Gehäuse mit charakteristisch schräg liegenden Kühlrippen. Jedoch, so gut wie niemand interessierte sich für diesen Rechner – aber dennoch war Jack Tramiel der Mann der Stunde und die Messebesucher stürmten den Atari-Stand: neben dem 130 XE stand ein weiterer Rechner, der sich auf den ersten Blick nur durch sein etwas größeres Gehäuse und den numerischen Ziffernblock auf der Tastatur unterschied. Die Modell-Bezeichnung dieses Rechners jedoch klang für die Computerfans verheißungsvoll: »sixteen-thirtytwo«, abgekürzt »ST«.

Der Name sollte nicht trügen – was in diesem unscheinbaren Tastaturgehäuse steckt, verschlug dem Messepublikum die Sprache: Schneller Motorola 68000, ein echter 16/32-Bit-Prozessor mit 8 MHz Taktfrequenz, verschwenderische 512 Kilobyte RAM, ein dazu passendes Laufwerk für 3,5 Zoll-Disketten mit bis zu 720 Kilobyte Speicherplatz, ein Betriebssystem mit grafischer Benutzeroberfläche und Mausbedienung und dazu ein Schwarz-Weiß-Monitor, der ein gestochen scharfes Bild in einer Auflösung von 640×400 Pixeln bei einer flimmerfreien Bildschirmwiederholfrequenz von 71 Hz bot. Mit diesen technischen Daten zog der »520 ST« an einem Apple Macintosh vorbei, aber dies zu einem Preis, der nur knapp über einem Commodore 128 D lag. Jack Tramiel hatte es geschafft, der Atari ST fegte mit einem Handstreich alle bisher am Markt erhältlichen 8-Bit-Rechner vom Platz.

Als besonders gelungener Schachzug erwies sich der Schwarz-Weiß-Monitor »SM 124«: das Monitor-Bild war im Home-Computer-Bereich zu dieser Zeit konkurrenzlos und lieferte sogar ein professionelleres Bild als die damaligen Bildschirmausgaben hochpreisiger PCs ab. Dadurch etablierte sich der Atari ST als universeller »Heim-PC«: bereits nach kurzer Zeit erschienen Anwendungsprogramme wie Textverarbeitung, Datenbanken und Tabellenkalkulationen, die es vom Funktionsumfang her problemlos mit den »großen« Programmen aus dem Profi-PC und Mac-Bereich aufnehmen konnten. Durch die grafische Benutzeroberfläche mit Mausbedienung waren sie leichter zu bedienen als die PC-Programme, die damals in der Regel als reine DOS-Programme mit Tastaturbefehl-Steuerung existierten. Auch für Programmierer wurde der Atari ST interessant: nahezu jede der damals aktuellen Programmiersprache war für den Rechner nach kurzer Zeit verfügbar: u.a. BASIC, Pascal, Modula-2, Assembler – und vor allem – C.

Atari legte schnell nach und stellte bereits ein halbes Jahr später den »520 ST+« vor – mit 1 MB RAM. Nur zum Vergleich: ein damaliger PC, der etwa dreimal so viel kostet, bot in der Regel 256 oder maximal 512 Kilobyte RAM – das PC-Betriebssystem MS-DOS war zu dieser Zeit gar nicht fähig, einen RAM-Speicher größer als 640 Kilobyte zu verwalten. Diese Speichergröße wurde von da an bei Atari zum Standard, 1986 erschien schließlich der »1040 STF«, der neben den obligatorischen 1 MB auch über ein eingebautes 3,5-Zoll-Diskettenlaufwerk verfügte.

Atari 1040 STF Illustration von Martin Karcher

Der 1986 erschiene 1040 STF war der bis dato »kompletteste« ST: er bot 1 MB RAM, ein eingebautes Diskettenlaufwerk und wurde mit Monitor zum echten Consumer-Preis von 999 Dollar angeboten.

Diese Speichergröße und der 68000er-Prozessor, der auch im Apple Macintosh verwendet wurde, verleitete Softwareentwickler zu gewagten Produkten: 1986 erschien ein Programm namens »Aladin« – es erlaubte, auf einem Atari ST einen kompletten Macintosh zu »emulieren« und dies, unterstützt durch die Tatsache, dass die damaligen Mac-Modelle nicht gerade als Rechen-Sprinter galten, in einer höheren Geschwindigkeit. Der später erscheinende Emulator »Spectre 128« ermöglichte sogar das Emulieren eines Macs mit 128-kB-Roms – die damaligen Apple-High-End-Modelle. In seinen besten Jahren zwischen 1985 und 1990 galt der Atari ST als der »bessere Mac« – der »Jackintosh«.

Den Atari als Mac zu verwenden, wie es von vielen Fachhändlern gerade in der Anfangszeit als Verkaufsargument angepriesen wurde, war nun zwar möglich, aber für die meisten Benutzer gar nicht notwendig: das Software-Angebot für den ST entwickelte sich schnell und war im Jahr 1988 bereits so umfangreich und professionell, dass lieber auf native ST-Programme zurückgegriffen wurde: Textverarbeitungen wie »1st Word Plus« oder »Signum!« wurden zu Klassikern, im Grafik-Bereich setzten Programme wie »Neochrome«, »Degas Elite« oder »EasyDraw« schnell Standards, im Programmierbereich machte das »GFA-Basic« Furore, Datenbanken wie »Adimens« oder »Phoenix« erwiesen sich als mindestens ebenbürtiger dBase-Ersatz – und dies zu erschwinglichen Preisen zwischen 100 und 300 DM. »Jack is back!«, titelte die Fachpresse und sprach vom »Atari Fieber«, am Zeitschriftenstand hatte der Atari-Anwender gleich mehrere Fachmagazine zur Auswahl, u.a. die »ST-Computer«, »ST Magazin«, »Atari Magazin« oder »TOS«. Das Computermagazin »CHIP« wählte den Atari ST gleich zweimal – 1986 und 1988 – zum »Computer des Jahres«. Jack Tramiels Atari Corporation galt als Wunderschmiede, von der noch viel zu erwarten war.