Der Jackintosh: als der Atari ST der bessere Mac war - Teil 1

Jack Tramiel Atari Jackintosh Illustration von Martin Karcher

Wenn ich als Grafikdesigner über Computer schreibe, schreibe ich über mein »Handwerkszeug«, das selbstverständlich ist und somit kaum erwähnenswert. Dennoch bin ich immer wieder fasziniert über die Möglichkeiten, die Computer heute bieten. Denn zu der Zeit, als ich meine erste Begegnung mit einem Computer hatte, erschienen die heutigen Leistungsstandards der Hard- und Software als unerreichbarer Traum. Mein erster Computer war ein Atari ST. Das war 1988, und natürlich war es nicht »mein« eigener Computer, sondern der meines Vaters, denn der Anschaffungspreis von 1600,- DM hätte mein Taschengeld-Budget als damals 11-Jährigen deutlich überschritten. Dieser Atari ST - in Form des Modells 1040 STF mit Monochrom-Monitor SM 124 - war von da an der Ursprung meiner Faszination. Denn der ST war tatsächlich ein besonderer Computer, wenn man berücksichtigt, in welchem Umfeld er damals auf den Markt geworfen wurde: ich möchte behaupten, er war ein Quantensprung, er hat das Tor in eine neue Dimension aufgestoßen. Und er war ein echter Coup - ein gezielt geplanter Schachzug, der ein bis dahin brachliegendes Marktsegment bediente. Und noch dazu von einer Firma, von der man es zu dieser Zeit am Allerwenigsten erwartet hätte.

Mitte der 80er Jahre bestand die Computer (Hardware-)-Branche grob gesagt aus zwei Lagern: dem Consumer-Bereich und dem Business-Bereich. Im letzteren tummelte sich im Jahr 1984 Firmen wie IBM mit seinen PC-Modellen und Apple mit seiner Ur-Modellreihe Apple II und III und den »Avantgarde«-Modellen, der kurzlebigen Lisa und und ihrem Nachfolgemodell, dem Macintosh. Dies klingt aus heutiger Sicht immer noch vertraut - der Unterschied war nur, dass diese Rechner ab etwa 8000,- DM aufwärts erhältlich waren und somit eindeutig nicht für den Hobby- und Hausgebrauch vorgesehen.

Den Consumer-Bereich deckten die aus heutiger Sicht legendären »Home-Computer« ab: allen voran Commodore mit seinem C64, Schneider/Amstrad mit der CPC-Reihe, Sinclairs »Spectrum« oder v.a. in den USA Texas Instruments mit dem TI 99/4A. Auch Atari, v.a. bekannt durch seine VCS-Videospielkonsolen, war vertreten: das Modell 800 XL verfügte über die typischen durchschnittlichen Hardware-Daten, die zwischen 1982 und 1984 das Maß der Dinge waren: ein 64 KByte großes RAM, eine Farbpalette von 8, 16 oder 32 Farben, Anschluss an Fernseher oder luxuriöserweise an einen eigenen Farb- oder Grünmonitor. Die Programme wurden von 5 1/4-Zoll-Disketten oder gar von Kassette geladen, als Betriebssystem kam meistens eine mehr oder weniger leistungsfähige Variante der Programmiersprache BASIC zum Einsatz.

Allen Modellen gemeinsam war auch der kleine 8-Bit-Mikroprozessor. Kleine Unterschiede in der Hardware führten allerdings schnell dazu, dass sich ein Rechner besser verkaufte als der andere, da einfach mehr Software erschien. Der C64 beispielsweise bot durch in der Hardware verankerte Zusatz-Features (»Sprites« und »Hardware-Scrolling«) ideale Voraussetzungen zur Spiele-Programmierung. Fast jedes Computerspiel erschien zunächst für den C64, erst später und meist in einer abgespeckten Version auch für die anderen Home-Computer. Der C64 wurde zum Marktführer und Dauerbrenner, Schätzungen zufolge wurden weltweit zwischen 14-30 Millionen Exemplare des kleinen Rechners verkauft.

Atari VCS 2600 Werbung 80er Jahre Illustration (c) Martin Karcher

Das Atari VCS 2600 Videospiel half Ende der 70er Jahre mit, dem Computer den Weg in das Wohnzimmer zu bahnen.

Atari konnte da nicht so richtig mithalten. Von den angebotenen Home-Computer-Modellen verkaufte sich nur der 800 XL einigermaßen durchschnittlich, war aber von der Popularität eines C64, eines Spectrums oder eines CPCs weit entfernt. Die Tendenz zeigte nach unten. Auch das Geschäft mit den VCS-Videospiel-Konsolen war mit dem seit 1983 einsetzenden Videospiele-Crash eingebrochen, so dass Atari mit dem Gedanken spielte, die gesamte Consumer-Electronics-Abteilung loszuwerden, um sich ganz auf das Automatenspiel-Geschäft zu konzentrieren. Gleichzeitig hing bei Commodore - trotz des sich immer stärker abzeichnenden Erfolges des C64 - der Haussegen schief: Firmengründer Jack Tramiel, der Commodore als Familienunternehmen leiten wollte, verließ 1984 aufgrund interner Führungs-Streitigkeiten mit Commodore-Finanzier Irving Gould mit seinem »Clan« (darunter auch ein gewisser Shiraz Shivji, der später als Hardware-Chefentwickler Berühmtheit erlangen sollte) seine eigene Firma und gründete kurze Zeit später Tramel (sic!) Technology Ltd. Diese Firma sollte sich jedoch nur als kurzes Intermezzo erweisen, als Denkfabrik ohne Produktions-Räumlichkeiten. Denn schnell trafen die Interessen von zwei Firmen aufeinander: auf der einen Seite Atari, das seine Home-Computer/Video-Konsolen-Sparte loswerden wollte, auf der anderen Seite Tramel Inc., das eine geeignete Plattform suchte, um ein in der Zwischenzeit im Geheimen entwickeltes Computer-Schätzchen auf den Markt bringen zu können.

Am 2. Juli 1984 kaufte Jack Tramiel Ataris Consumer-Electronics-Abteilung auf, sicherte sich die Rechte an Namen und Logo und gründete die »Atari Corporation«. Die Anfangsphase gestaltete sich etwas bizarr, wie es Marty Goldberg, Co-Autor des Buches »Atari Inc.: Business is Fun«, schildert: beide Firmen, die Atari Corporation und die verbleibende Atari Games Inc. arbeiteten zunächst unter einem Dach. Tramiels Team inspizierte als erstes, was sie da überhaupt gekauft hatten, gleichzeitig wurden Interviews mit den bisherigen Angestellten geführt, wer sinnvollerweise übernommen werden konnte. Da es sich um einen reinen Vermögenskauf handelte, der nicht die Arbeitsverhältnisse der Angestellten einschloss, wurden die Karten neu gemischt - Tramiel konnte nur einen kleinen Teil der Belegschaft übernehmen. Die übrigen Mitarbeiter wurden am Ende des Monats vom bisherigen Eigentümer Warner entlassen. Alles, was sich noch irgendwie verkaufen ließ, wurde verkauft, die noch vorhandenen Atari XL-Modelle wurden zu Schleuderpreisen teilweise über Kaufhaus- und Supermarkt-Ketten verramscht. Die Zeit drängte. Tramiel wusste: ihr neuer Computer konnte nur konkurrenzfähig auf dem Markt platziert werden, wenn er es schaffte, eine Messe-Sensation darzustellen, die alles andere in den Schatten stellte. Es sollte ihm gelingen...